»Man entscheidet sich jeden Tag neu für die Menschlichkeit«

Unsere Schülerin Maya Witt, Klasse 11, hielt vor 200 Personen eine bemerkenswerte Rede zum Holocaust Gedenken auf dem Hermann-Ehlers Platz in Steglitz:

Sehr geehrte Anwesende, wir stehen heute hier zusammen, um uns zu erinnern. Am 27. Januar 1945, vor genau 80 Jahren, wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. Auschwitz, dieser Ort, dessen Name zum Synonym für das Unvorstellbare geworden ist, steht wie kein anderer für das dunkelste Kapitel der Menschheitsgeschichte: den Holocaust.
Die Erinnerung an damals bringt uns heute zusammen und lässt uns über das, was war, nachdenken.

Mein Name ist Maya Witt und ich besuche gerade die 11. Klasse der Gail-S.-Halvorsen-Schule. Ich wurde
gebeten für den heutigen Anlass eine Rede zu verfassen. Ich bin zwar keine Jüdin, doch das macht das
Thema nicht weniger relevant für mich. Es ist heute noch immer aktuell. Es wird immer aktuell bleiben. Und es geht uns alle an.
Samuel Kassow, ein US-amerikanischer Historiker schrieb einmal: „Man kann einen Völkermord nur
wirklich begreifen, wenn man erfährt und sich bewusst macht, was und wer vernichtet wurde.“

Daher lese ich nun einen kurzen Brief von Chajim an dessen Eltern vor. Chajim war ein 14-jähriger jüdischer Gefangener eines Vernichtungslagers.

Ich zitiere: Meine lieben Eltern!
Wenn der Himmel Papier und alle Meere der Welt Tinte wären, könnte ich Euch mein Leid und alles,
was ich rings um mich sehe, nicht beschreiben. Das Lager befindet sich auf einer Lichtung. Vom frühen Morgen an treibt man uns in den Wald zur Arbeit. Meine Füße bluten, weil man mir die Schuhe weggenommen hat. Den ganzen Tag arbeiten wir, fast ohne zu essen und nachts schlafen wir auf der Erde (auch die Mäntel hat man uns weggenommen).
Jede Nacht kommen betrunkene Soldaten und schlagen uns mit Holzstöcken, und mein Körper ist
schwarz von blutunterlaufenen Flecken wie ein angekohltes Stück Holz. Vorgestern sind zwei Buben ausgebrochen, da hat man uns in eine Reihe gestellt, und jeder Fünfte der Reihe wurde erschossen. Ich war nicht der Fünfte, aber ich weiß, dass ich nicht lebend von hier fortkomme. Ich sage allen Lebe wohl, liebe Mama, lieber Papa, liebe Geschwister, und ich weine…
Chajim
Diese Nachricht ist entnommen aus dem Buch „An die Nachwelt – Letzte Nachrichten und Zeitzeugnisse
von NS-Opfern gegen das Vergessen“, herausgegeben vom Zentrum für politische Schönheit. In dem Buch sind ausschließlich Briefe von NS-Opfern abgedruckt. Ich habe Chajims Worte gewählt, um den Opfern eine Stimme zu geben. Chajims bildhafter und teils poetischer Bericht gibt uns aus erster Hand einen Eindruck von den unvorstellbaren Gräueltaten sowie dem Leid der Opfer und der Hinterbliebenen. Während wir innehalten und uns erinnern, dürfen wir uns nicht mit der bloßen Betrachtung der Vergangenheit zufriedengeben. Wir müssen Lehren aus der Frage ableiten, wie es zu diesem Völkermord kommen konnte.

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